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43 Anstaltseinweisung; Wiedererwägung; Rechtliches Gehör; Zwangsbe- handlung im Rahmen einer Einweisung zur Untersuchung. - Wird eine Einweisungsverfügung in Wiedererwägung gezogen, ist die ursprüngliche Verfügung formell aufzuheben und eine neue Verfü- gung zu erlassen. Dabei müssen wiederum alle formellen Erforder- nisse erfüllt sein, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör (Erw. 2/a). - Grundsätzliche Unterscheidung zwischen ordentlicher Einweisung (zur Behandlung) und Einweisung zur Untersuchung (Erw. 2/b/aa- dd). - Eine Zwangsbehandlung i.S.v. § 67ebis Abs. 1 EGZGB ist ausnahms- weise auch bei einer Anstaltseinweisung zur Untersuchung zulässig,
aber nur, wenn die verlangten und notwendigen Abklärungen nicht anders bewerkstelligt werden können (Erw. 2/b/dd)
Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 21. Oktober 2003 in Sachen M.M. gegen Verfügung des Bezirksarztes B.
Aus den Erwägungen
2. a) Der Beschwerdeführer wurde am 1. Mai 2003 mit Verfü gung des Bezirksarztes B. zur Untersuchung betreffend Fremdge fährlichkeit und Beurteilung der Betreuungstauglichkeit in die PKK eingewiesen. Der Beschwerdeführer liess jedoch die zur Abklärung notwendigen Untersuchungen nicht zu. Auf Anregung des Oberarztes der Klinik passte der Bezirksarzt am 2. Mai 2003 seine Verfügung an, indem er den Auftrag auf "Behandlung und/oder Untersuchung" erweiterte. Dies ist aus dem Erscheinungsbild der Verfügung jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr wird der Eindruck vermittelt, als habe es nur die Verfügung zur "Behandlung und/oder Untersuchung" gegeben, da
auch die abgeänderte neue Verfügung mit dem 1. Mai 2003 datiert ist. Die Vorgehensweise des Bezirksarztes entspricht einer Wieder erwägung i.S.v. § 25 VRPG. Um eine für alle Beteiligten unzumut bare Rechtsunsicherheit zu vermeiden, ist dann, wenn eine Einwei sungsverfügung in Wiedererwägung gezogen wird, die ursprüngliche Einweisungsverfügung formell aufzuheben und eine neue, neu da tierte Verfügung zu erlassen; dabei müssen wiederum alle formellen Erfordernisse erfüllt sein, insbesondere - jedenfalls wenn die neue Verfügung für den Betroffenen belastender ausfällt als die ursprüng liche - der Anspruch auf eine persönliche Anhörung gemäss § 67k lit. a EGZGB und § 15 VRPG (vgl. AGVE 1983, S. 121). Die neue Verfügung des Bezirksarztes war somit formell mangelhaft. b) aa) In AGVE 1982, S. 130 f. hat das Verwaltungsgericht ent schieden, dass die massgeblichen Einweisungsgründe und -zwecke in der Einweisungsverfügung selber enthalten sein und so dem Einge wiesenen und der Anstalt zur Kenntnis gebracht werden müssen. Insbesondere muss der Klarheit halber in der Einweisungsverfügung selber ausdrücklich angeführt sein, wenn es sich nicht um eine or dentliche Einweisung (im Sinne von Art. 397a ZGB), sondern um eine Einweisung zur Untersuchung gemäss § 67d EGZGB handelt (AGVE 1994, S. 350 f.; 1982, S. 138). bb) Die erste Verfügung des Bezirksarztes B. lautete auf "Un tersuchung - bis über die Fremdgefährlichkeit entschieden werden kann. Beurteilung der Betreuungstauglichkeit". Die zweite Verfü gung lautet genau gleich mit dem Zusatz, dass neu die Rubrik "Be handlung" angekreuzt wurde. Die zweite Verfügung enthält somit Elemente einer Einweisung zur Untersuchung und einer (definitiven) Einweisung zur Behandlung. Beiden Verfügungen ist jedoch kein Hinweis zu entnehmen, dass der Bezirksarzt B. das Vorliegen einer Geistesschwäche Geisteskrankheit als Einweisungsgrund ab schliessend bejaht hätte, was Voraussetzung für eine definitive Ein weisung wäre. In seiner Eingabe vom 9. Mai 2003 bestätigt der Be zirksarzt denn auch, dass er in seiner Verfügung keine Geistesschwä che Geisteskrankheit diagnostiziert habe. Sein Auftrag habe auf Abklärung und Behandlung gelautet. Mit der Beurteilung der Fremdgefährlichkeit hätte auch eine Diagnose einhergehen sollen.
In seiner Eingabe vom 9. Mai 2003 hält der Bezirksarzt weiter fest, dass der zuständige Klinikarzt ihm telefonisch mitgeteilt habe, dass auf Grund des schweren Erregungszustands des Beschwerde führers eine Abklärung nicht möglich sei. Der Klinikarzt bat ihn deshalb, die Verfügung auf "Behandlung" auszuweiten, um eine Se dation (und als Folge davon die verlangte Abklärung) zu ermögli chen. cc) Hieraus geht deutlich hervor, dass die Einweisung des Be schwerdeführers einzig der Untersuchung und Abklärung einer Fremdgefährlichkeit und der Behandlungs- und Betreuungsmöglich keit dienen sollte. Offensichtlich hielt der zuständige Klinikarzt zur Durchführung der Abklärungen eine Zwangsmedikation für notwen dig, sah jedoch in der Einweisung zur Untersuchung keine rechtsge nügliche Grundlage dazu. Mit der Ausweitung der Verfügung auf "Behandlung" wollte der Bezirksarzt eine Zwangsmedikation als Voraussetzung der verlangten Abklärung ermöglichen. Nach wie vor war indessen bloss eine Einweisung zur Untersuchung beabsichtigt. dd) Eine Zwangsbehandlung im Sinne von § 67ebis Abs. 1 EGZGB ist in aller Regel nur im Rahmen einer definitiven fürsorge rischen Freiheitsentziehung zulässig, ausnahmsweise aber auch bei einer Anstaltseinweisung zur Untersuchung, wenn die verlangten und notwendigen Abklärungen anders nicht bewerkstelligt werden kön nen (vgl. VGE I/145 vom 23. Juli 2002 [BE.2002.00244] in Sachen M.Z., S. 5). Es ist verständlich, dass sich der zuständige Klinikarzt absichern wollte. Wenn der Bezirksarzt aber ohne die verlangte Un tersuchung ausserstande war, die Voraussetzungen und die Begrün detheit einer ordentlichen Anstaltseinweisung zu bejahen, hätte er nicht eine Einweisung zur Behandlung (was zwingend eine definitive Einweisung impliziert) anordnen dürfen. Korrekt wäre es gewesen, an der Einweisung zur Untersuchung festzuhalten und die Klinik darauf hinzuweisen, dass diese Einweisung zur Untersuchung ganz ausnahmsweise auch eine Zwangsbehandlung rechtfertigen könne, wobei der Ausnahmesachverhalt nach den Ausführungen des Klinik arztes offenbar gegeben sei. ee) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei der an gefochtenen Verfügung materiell um eine Einweisung zur Untersu-
chung im Sinne von § 67d EGZGB handelt. Dies wurde indessen erst im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens klar, da das formelle Vorgehen des Bezirksarztes fehlerhaft war und zu erheblicher Unsicherheit führte. (...)